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Friedrich Lensch

Die Zeit 1933-1945
Die Alsterdorfer Anstalten
Die Alsterdorfer Anstalten
Lenschs Aufgaben in den Alsterdorfer Anstalten und das Euthanasie-Programm
Aufgaben, Euthanasie- Programm
Veränderung seines Lebens
Veränderung seines Lebens

Die Alsterdorfer Anstalten waren und sind eine Einrichtung für Behinderte. Sie wurden 1850 von Heinrich Matthias Sengelmann gegründet. Am Anfang bestanden sie nur aus einem Haus, das Sengelmann „Christliche Arbeitsschule“ nannte.

Er wollte behinderten Menschen einen Sinn in

ihremLeben geben, indem er ihnen Arbeit gab.

Hierbei tat er das, indem er ihnen

landwirtschaftliche und handwerkliche

Kenntnisse beibrachte. Durch Spenden kaufte

Sengelmann immer mehr Gelände, auf dem die

Behinderten arbeiteten.

 

Sengelmann wollte den

Behinderten damit einen Sinn geben, weil sie

sonst bei ihren Familien verwahrlost wären.

Nach Sengelmanns Tod entwickelten sich die

Alsterdorfer Anstalten aber eher zur

Forschungs- und Behandlungseinrichtung für

Behinderte. Zum Amtsantritt Lenschs - der als

Leiter einem Vorstand unterstand - hatten die

Alsterdorfer Anstalten etwa 1000 Bewohner

und ca. 250 Mitarbeiter. Bei wichtigen Entscheidungen entschied der Vorstand mit, sonst entschied Lensch alleine.

 

Die „Zöglinge“, wie man die Bewohner damals nannte, betrieben landwirtschaftliche Arbeit auf den Gütern der Alsterdorfer Anstalten. Die Menschen, die einen höheren Grad der Behinderung hatten, wurden schlechter behandelt als die, die einen niedrigen Grad der Behinderung hatten. Dies lag daran, dass die Menschen mit einem höheren Grad der Behinderung mehr Geld für die Pflege benötigten und man bei den Menschen, die einen niedrigeren Grad der Behinderung hatten, größere Erfolgschancen sah.1

Abb. 8 Die Alsterdorfer Anstalten 1933, aus: Fotografien aus dem Archiv der Alsterdorfer Anstalten, ausgehändigt vom Archivleiter Harald Jenner.

Friedrich Lensch wurde am 14. September 1930 Direktor

der Alsterdorfer Anstalten. Seine Aufgaben bestanden

darin, dass er über die Aufnahme neuer Bewohner

entschied oder sich um die Versorgung kümmerte. Für

Besucher machte er Führungen durch die Alsterdorfer

Anstalten, außerdem kümmerte er sich um die

Verwaltung.2

 

Alle seine Entscheidungen mussten jedoch

vom Vorstand gebilligt werden. Im Vorstand saßen viele

ranghohe Mitglieder der Evangelischen Kirche. Nachdem

Sengelmann – der Gründer der Alsterdorfer Anstalten –

gestorben war, wollte der Staat die Kosten für die

„Schwachsinnigen-Anstalten” senken. Unter Lensch

hatten diese Einsparungen Auswirkungen, sodass die

weniger Beeinträchtigten bevorzugt und die Leistungen

für die stärker Beeinträchtigten gekürzt wurden. Im

Gegensatz zum Ersten Weltkrieg kam es nicht zu

Hungertoden, aber die Bewohner wurden trotzdem nicht

ausreichend versorgt. So geht aus Bewohnerakten hervor,

dass Bewohner aus Abfalleimern aßen, die mit den

Abfällen der Schweinemast gefüllt waren.3

 

Auf seine Anweisung hin wurden 1938 bereits Christen

jüdischer Herkunft und Juden ausgewiesen, bevor die

eigentliche Anweisung zu diesem Vorgehen erst 1940 erteilt wurde.4 Später wurden auch nicht jüdische Bewohner ausgewiesen und somit dem Tod überlassen.

Als Leiter der Alsterdorfer Anstalten sah sich Lensch auch konfrontiert mit der Umsetzung des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten. Euthanasie im Nationalsozialismus bedeutet die gezielte Massenermordung wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung, obwohl der Begriff eigentlich nur die Erleichterung des Sterbens durch Medikamente meint, um Kranke von ihrem Leid zu erlösen. So wurde der Begriff von den Nationalsozialisten missbraucht.

 

Das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten (Rassenhygiene genannt) hatte das Ziel, behinderte und psychisch kranke Menschen massenhaft umzubringen. Am 01. September 1939 erlaubte Hitler bestimmten Ärzten, behinderte Menschen mit unheilbaren Krankheiten den „Gnadentod“ zu verpassen. Während der NS-Zeit war die Idee der Euthanasie weit verbreitet und wurde auch angewandt. Es ging dabei vor allem darum, dass die Lebenshaltungskosten für diese Menschen zu hoch waren. Ab 1939 brauchte man alles verfügbare Geld und Nahrung für den Krieg.

 

Der Weg in den Tod begann für Behinderte

erst mit Heiratsverboten, über

Zwangssterilisationen und

Zwangsabtreibungen bis hin zum

Massenmord. Am bekanntesten ist die

Aktion T4, in der 70 000 Menschen mit

geistigen und körperlichen Behinderungen

systematisch ermordet wurden. T4 wurde als

Abkürzung für die „Zentraldienststelle T4“ ,

die sich in Berlin – in der Tiergartenstraße 4 -

befand, benutzt. Diese Aktion, die über

200.000 Menschen das Leben kostete -

begann damit, dass Meldebögen an

Einrichtungen für geistig und körperlich

Behinderte in ganz Deutschland vom

Reichsministerium des Inneren geschickt

wurden.

Durch die Meldebögen wurde ausgewählt, wer ermordet werden sollte. Die Leute wurden in Krankenhäusern und Psychiatrien von Ärzten vergast. Dies passierte auch bei 500 Bewohnern der Alsterdorfer Anstalten. Durch Proteste, vor allem durch die Kirchen, wurde die „Aktion T4“ aber am 24. August 1941 eingestellt. Trotzdem starben weitere 300.000 Menschen aufgrund eines Euthanasieerlasses bis Kriegsende.5

1940 musste Lensch nach Frankreich, um im Krieg zu kämpfen. Währenddessen erhielt man in den Alsterdorfer Anstalten besagte Meldebögen, die von den Bewohnern ausgefüllt werden mussten. Man ahnte schon, dass diese Bögen dafür verwendet werden würden, um durch diese Fragebögen, anhand des „Grades” der Behinderung , die „Abzutransportierenden” auszuwählen. Im Januar 1941 kam Lensch aus Frankreich zurück und mit Verzögerung wurden die Meldebögen im Rahmen der „Aktion T4“ nach Berlin zum Reichsministerium des Inneren geschickt. Grund war, dass Lensch zunächst skeptisch war, was mit diesen Meldebögen passieren sollte. Erst als er von der „Aktion T4“ erfuhr, folgte er der Anweisung. In den Bögen wurde allerdings vom Vorstand der Alsterdorfer Anstalten vermerkt, dass sie nichts mit dem weiteren Geschehen zu tun haben wollten.6

Abb.9: Meldebogen, Fotografie aus dem Archiv der Alsterdorfer Anstalten, ausgehändigt durch den Archivleiter Harad Jenner.

Abb. 10 Untersuchung der „Zöglinge“, Fotografie aus dem Archiv der Alsterdorfer Anstalten, ausgehändigt durch den Archivleiter Harald Jenner.

1 Jenner, Harald: Friedrich Lensch als Leiter der Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S.193-222.

2 Interview mit Stephan Linck am 19.01.2017, Minute 7:00-9:00

3 Jenner, Harald: Friedrich Lensch als Leiter der Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S.193-222. S. 190.

Viitanen, Liisa: Ein Eugeniker an der Spitze – Direktor Friedrich Karl Lensch, in: Alsterdorf, Magazin der evangelischen Stiftung Alsterdorf, Nr. 25, August 2013, S.10.

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/euthanasie.html, Stand: 27.01.2017.

6 Jenner, Harald: Friedrich Lensch als Leiter der Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 237.

LKAK, 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nrn. 737-741.

Die Deutsche Arbeitsfront

Sozialversicherung, Wohnungsfragen, Urlaubsgestaltung u.s.w.

10 Jenner, Harald : Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 202-205.

11 Sondereinheit innerhalb der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA)

12 LKAK, 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nrn. 737-741.

13 siehe 3.2.2.

14 Jenner, Harald : Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefe Ebene, Stuttgart 2016, S. 235-237.

15 Tötungsanstalten: Sonnenstein, Grafeneck und Hadamar

16 LKAK, 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nrn. 737-741.

1934 wurde Friedrich Lensch Mitglied bei der SA, nachdem er bereits im 1. Weltkrieg in Russland an der Ostfront ab dem Jahr 1918 gekämpft hatte. Er war als Fürsorgewart für die Betreuung von SA-Mitgliedern und deren Familie tätig. Zuletzt wurde er zu einem Oberscharführer.7

Die Schwierigkeiten zwischen Lensch und den nationalsozialistischen Arbeitsorganisationen fingen aufgrund sozialpolitischer Fragen an. Im Jahr 1936 wurde in den Alsterdorfer Anstalten an der Betriebsordnung sowie an einer neuen Dienstanweisung für die Mitarbeiter gearbeitet. Die DAF8 übte nämlich Kritik an der Arbeit zur sozialen Frage9 in den Alsterdorfer Anstalten aus. Jedoch konnte zwischen Lensch und der DAF nach langen Verhandlungen keine Einigung gezielt werden.

 

Die neue detaillierte und umfangreiche Fassung der Betriebsordnung stellte hierbei ein Problem dar, denn die Volksgemeinschaftsideologie der nationalsozialistischen Sozialpolitik war nur an kurzen Ordnungen interessiert, welche nur das Grundsätzliche regeln sollten. Ein weiterer Streit in den Anstalten war ein Streit zwischen den Mitarbeitern und Friedrich Lensch. Ein Teil der männlichen Mitarbeiter forderte, auf dem Gelände der Anstalten wohnen zu dürfen. Alle männlichen Mitarbeiter waren unverheiratet, weshalb von der Mitarbeiterschaft interpretiert wurde, dass Lensch die Heirat verbieten würde. Im Verlauf versuchte Lensch nach eigener Aussage die Auseinandersetzung zu schlichten.

 

Im Februar/ März 1937 wurde versucht, zwischen der Anstaltsleitung und den Vertretern der DAF einen Kompromiss bezüglich des Heiratsparagraphen zu finden. In diese Auseinandersetzung wurde auch der "Centralausschuß der Inneren Mission" in Berlin einbezogen. Im April 1937 schienen zunächst alle Probleme zwischen Lensch und der DAF beseitigt worden zu sein. Der Aspekt der Betriebsordnung blieb jedoch noch unklar. Am 25. Mai 1937 forderte die DAF die Entlassung Lenschs, da dieser eine endgültige Betriebsordnung ohne der Zustimmung der DAF veröffentlichte. Dieses ungeschickte Verhalten gegenüber der DAF und der Anschein, er würde nichts über die Ermahnungen der DAF wissen wollen, wurde ihm vorgeworfen. Es kam zu Verhandlungen zwischen den Beteiligten durch den "Centralausschuß". Schlussendlich schien die DAF Interesse an einer Klärung zu haben.

 

Es machte den Eindruck, dass sie selbst nicht mehr die Angelegenheiten klären wollen. Somit kündigte die DAF dem "Centralausschuß" eine mögliche Intervention beim Reichskirchenministerium an. Lensch blieb ohne eine Einigung im Amt und die Angelegenheiten wurden nicht weiterverfolgt. Die Hauptproblematik der DAF war, dass Lensch sich persönlich unklar und unentschieden verhalten habe. Die politische Situation spielte hierbei nicht so eine große Rolle wie sein Verhalten. Sie stellten Forderungen, doch diese wurden von Lensch trotz seiner Zusage nicht richtig in Betracht gezogen und nicht durchgesetzt. Diese Problematik gab es, da Lensch konfliktscheu war und versucht hat, alles und jedem zuzusagen, dabei konnte er all dies dann meistens nicht einhalten. Außerdem wurde eine Kooperation mit der DAF und der Schwesternschaft der Alsterdorfer Anstalten entwickelt.

Im Sommer 1937 wurde deutlich gemacht, dass die Schwestern Mitglieder bei der DAF sein mussten, um bei den Alsterdorfer Anstalten arbeiten zu können. Dieser Aspekt zeigt, dass die DAF viel in den Alsterdorfer Anstalten mitwirken konnte.10

Erst 1939 setzte Lensch sich für den Nationalsozialismus ein. 1939 erhielt er für seinen Einsatz in der SA ein Gaudiplom. Vom 1. Januar bis zum 2. Dezember 1940 gehörte er der Gruppe „Geheime Feldpolizei 312“11 an. Dies zeigt, dass Lensch den Nationalsozialismus unterstützte und hierbei im nationalsozialistischem Sinne funktioniert hat. Am 2. Dezember 1940 wurde er zum Infanterie-Ersatz-Bataillon nach Küsterin versetzt und wurde im selben Monat von der geheimen Feldpolizei in die Anstalten zurückgerufen, da er bei der Durchführung des Euthanasie-Programms helfen sollte. Somit wurde er für sein Amt als Direktor und Pastor in den Alsterdorfer Anstalten zunächst freigestellt. Nach der Rückbeorderung war er jede zweite oder dritte Nacht im Stadtteil Eimsbüttel als Geschützführer tätig.12

Nach seiner Freistellung aus dem Militärdienst am 20.Dezember 1940 versuchte Lensch die Versendung der Meldebögen nach Berlin13 hinauszuzögern, wie es zum Beispiel auch Pastor Friedrich v. Bodelschwingh in Bethel versuchte. Durch die Meldebögen war mehr als ein Fünftel aller Pflegelinge – wie die  Bewohner damals genannt wurden - der Alsterdorfer Anstalten gefährdet. Schließlich schickte man die Bögen Ende Januar 1941 mit einer Erklärung ab, die besagte, dass Lensch und die Alsterdorfer Anstalten keine Verantwortung übernehmen würden, was im Folgenden mit den „Zöglingen“ gesehen würde.14

In der Nacht zum 30.07.1943 wurden die Alsterdorfer Anstalten von Luftangriffen getroffen. Die Luftangriffe wurden für Lensch zum Anlass, weitere 750 obdachlose Bewohner der Alsterdorfer Anstalten in andere Einrichtungen15 zu verlegen, in denen ihnen im Sinne des Euthanasie-Programms der Tod drohte. Die Alsterdorfer Anstalten wurden nach den Bombenangriffen wieder aufgebaut.16 Über die letzten beiden Kriegsjahre in den Alsterdorfer Anstalten lässt sich letztendlich kaum etwas sagen, da die Berichte über Lensch und sein Wirken in dieser Zeit mit den Bombenangriffen von 1943 aufhören und dann erst nach der Kapitulation Deutschlands 1945 wieder ansetzen.

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