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Friedrich Lensch

Die Jahre nach 1945
Auswirkungen des Nationalsozialismus auf sein weiteres Leben
Auswirkungen des NS

Friedrich Lensch war während der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur in den Alsterdorfer Anstalten tätig, sondern hatte auch andere Aufgaben für das Dritte Reich erledigt (siehe 3.2.3 Veränderungen seines Lebens ). Dies hatte für ihn zwangsläufig Konsequenzen nach der deutschen Niederlage, welche wir hier näher erläutern werden.

Gegen Lensch wurden Vorwürfe erhoben, die wohl aus der Bereitschaft, den Nationalsozialismus zu unterstützen, resultierten. Er war Sympathisant des Nationalsozialismus, was dazu führte, dass er der SA beitrat und dort 1934 Scharführer wurde. Als er zurück in die Alsterdorfer Anstalten kam, nachdem er Scharführer war, hatte er in den Jahren 1937/38 jüdische Pfleglinge entlassen und tat dies mit der Begründung, dass solchen Einrichtungen die Steuerbefreiung entzogen wird, wenn sie jüdische Menschen ihn ihrem Hause haben.
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Der wohl schwierigste Aspekt war die Beteiligung am Euthanasie-Programm. Lensch war daran wesentlich beteiligt, indem er seine Einwilligung gab, dass jüdische Patienten in andere Anstalten verlegt werden und dort auch getötet werden. Diese Tötungsanstalten waren z.B. Sonnenstein, Grafeneck und Hadamar.2 Und auch nach den vielen Bombenanschlägen auf Hamburg im Jahr 1943 hat Lensch gehandelt, da er selbst die Verlegung von Menschen beauftragte und dies mit dem Bettennotstand in Hamburg erklärte. Hier wurden die Menschen auch in die oben genannten Tötungsanstalten verlegt.

1943 kam es zu weiteren Massentransporten. Den Anstoß dazu gab der Direktor Pastor Friedrich Lensch selbst: Bei den Luftangriffen auf Hamburg waren in der Nacht zum 30. Juli auch die Alsterdorfer Anstalten schwer getroffen worden. Die Einrichtung war mit rund 2.300 Personen überbelegt, da das Krankenhaus 500 brandverletzte Bombenopfer aufgenommen hatte. Deshalb bat Pastor Lensch den Hamburger Gesundheitssenator, 750 Bewohner der Anstalten in andere Einrichtungen zu verlegen.3 Am 16.August verließen etwa 230 von ihnen die Anstalt in Richtung Wiener Nervenheilanstalt Steinhof.

Aus diesen Punkten resultierten Konsequenzen für Friedrich Lensch, zum einen von der kirchlichen Seite, zum anderen aber auch aus der Justiz. Durch seine Taten im Nationalsozialismus wurde Friedrich Lensch nach Abstimmung des Vorstands in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, da ihm sonst gekündigt worden wäre für seine Taten in der Zeit des Nationalsozialismus, vor allem unter dem Aspekt des Euthanasie-Programms. Offiziell war Friedrich Lensch nun als Pastor in den Alsterdorfer Anstalten tätig – ein Recht auf Anstellung als Pastor hatte er ja - 4, jedoch erledigte er immer noch viele andere Aufgaben zur Erhaltung und Besserung der Alsterdorfer Anstalten.5

 

Man bereitete damals eine Anklage wegen Mordes und Beihilfe zu Mord vor. Zu einer Verhandlung kam es allerdings nicht, da es zu wenig Beweise gab.6 Andere Täter aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden zur gleichen Zeit in den sogenannten Curiohaus-Prozessen angeklagt. Sie begannen am 1. März 1946 in Hamburg. Das britische Militär ist hierbei für die Urteile verantwortlich. Es gab mehr als 250 Prozesse wegen der Kriegsverbrechen der Nazis, hauptsächlich wurde bei den Curiohaus-Prozessen über SS-Verbrechen entschieden, die in Neuengamme und Ravensbrück begangen worden sind. 7

1951, also ein paar Jahre später, kam es zur Rücknahme der Entnazifizierung (Artikel 131). Dies hatte zur Folge, dass Beamte klagen konnten, dass sie wieder an ihre alte Arbeitsstelle angenommen werden, wenn sie kein laufendes oder abgeschlossenes Verfahren hatten. Es gibt Hinweise darauf, dass Friedrich Lensch in diesem Zusammenhang erneut die Leitung der Alsterdorfer Anstalten angestrebt hat. Doch genau belegen ließ sich dies nicht.8 Denn eigentlich hatte er bereits 1948 sein Interesse bekundet, noch einmal als Direktor in die Alsterdorfer Anstalten zurückzukehren.9

 

Der Fall Friedrich Lensch kam wieder ins Rollen um 1950 herum, als Friedrich Lensch darauf beharrte, die Pension eines Direktors zu bekommen, was wesentlich mehr Geld war, als das, was ein pensionierter Pastor bekommen hätte. Die Alsterdorfer Anstalten waren über diese Forderung verärgert. Zwischen Lensch und den Alsterdorfer Anstalten kam es zu keiner Einigung, weswegen Friedrich Lensch den Alsterdorfer Anstalten ein Kompromiss vorschlug. Er würde auf diese Pension verzichten, wenn ihm die Alsterdorfer Anstalten zusagen würden, ihm ein Dokument zu schreiben, dass er sich positiv verhalten hätte während des Nationalsozialismus.

 

Damit war der Vorstand jedoch nicht einverstanden und so klagte Friedrich Lensch im Jahr 1959 gegen die Alsterdorfer Anstalten, um seine Pension zu erhalten. Diese Klage gewann Friedrich Lensch10, jedoch ließ das nächste Verfahren nicht lange auf sich warten.
Der Vorstand der Alsterdorfer Anstalten beantragte ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Jedoch wurde dieses Verfahren auch eingestellt, da das Verfahren hätte erweitert werden müssen, weil nicht nur Lensch, sondern auch mit dem ehemaligen Leiter Dr. Oscar Epha an den schrecklichen Taten des Nationalsozialismus beteiligt war. Dr. Oscar Epha war aber zu diesem Zeitpunkt Präsident des Kieler Landeskirchenamtes. Deswegen hätte auch er mit in dieses Verfahren genommen werden müssen, deswegen endete das Verfahren für Friedrich Lensch.
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Als Nächstes kam eine weitere Ermittlung auf Lensch zu, dieses Mal nicht von der Kirche aus, sondern weil es einen ehemaligen Patienten aus den Alsterdorfer Anstalten gab, der 1967 einen Brief schrieb über die damaligen Verhältnisse dort. „Albert Huth, Halbjude, laut Gutachten der Chefärztin ein schwachsinniger, schizophrener Psychopath, gerade gut genug zum Saubermachen der Klos.“12 Und vor allem hatte er alles – vor allem die Transporte der „Zöglinge“ - penibel und vollständig aufgeschrieben. Bislang hatte sich niemand für seine Notizen interessiert, bis er sie Dietrich Kuhlbrodt brachte, der sich schon seit Jahrzehnten mit der Aufklärung von NS-Verbrechen und besonders mit denen in Alsterdorf beschäftigt hatte.13

Dieses Mal waren die Alsterdorfer Anstalten auf der Seite von Friedrich Lensch, da es auch um ihr Ansehen ging. Sie behinderten offensichtlich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Diese Diskussion fand erst sehr spät ein Ende und war nicht mehr in Lenschs Lebenszeit (05.01.1976), genauer gesagt drei Jahre nach seinem Tod. Das Verfahren gegen Lensch wurde aber schon 1973 wegen mangelnder Beweise nicht eröffnet. Wie Dietrich Kuhlbrodt, der die Anklageschrift eingereicht hatte, später erfuhr, war der mit der Prüfung beauftragte Richter für den Fall Lensch von eben diesem in der Christuskirche in Othmarschen getraut worden. So entging Lensch erneut einem Verfahren gegen ihn.14

Zusammengefasst änderte sich das Leben vom Friedrich Lensch also nicht grundlegend ins Schlechte, was man nach seinen Taten im Nationalsozialismus vielleicht gedacht hätte, jedoch musste Lensch viel um seine Positionen kämpfen. Diese Auseinandersetzungen mit der Kirche und dem Gericht waren jedoch kein Problem, in Hinblick auf die Anzahl der Besucher bei seinen Gottesdiensten anging. Die Besucherzahlen stiegen sogar15 und man schätze ihn in seiner neuen Tätigkeit in Othmarschen sehr.

1 LKAK 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nr. 1618.

2 Siehe oben, Nr. 737-741.

3 Siehe oben Nr. 1618.

4 Interview mit Stephan Linck, Teil 2, Minute 25:00-26:00.

5 LKAK, 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nrn. 737-741.

6 Siehe oben Nr.1618.

7 http://www.zeit.de/hamburg/kultur/2016-03/hamburg-kriegsverbrecher-curiohaus-briten-1946, Stand: 20.01.16.

8 Interview mit Stephan Linck, Teil 2, Minute 27:00-28:30

9 Jenner, Harald: Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S.245.

10 LKAK 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nr. 1618.

11 Siehe oben, Nr. 737-741.

12 http://www.abendblatt.de/hamburg/article205291105/Dietrich-Kuhlbrodt-war-der-Hamburger-Nazi-Jaeger.html, Stand: 06.02.2107

13 S.o.

14 http://www.abendblatt.de/hamburg/article205291105/Dietrich-Kuhlbrodt-war-der-Hamburger-Nazi-Jaeger.html, Stand: 06.02.2017

15 LKAK 12.03 (Personalakten der Nordelbischen Kirche), Nr. 1618.

16 Hamburger Staatsanwalt, 1932 in Hamburg geboren, war von 1964 bis 1995 Staatsanwalt, Quelle: http:/www.verbrecherverlag.de/author/detail/20, Stand: 02.02.2017

17 Interview mit Stephan Linck, Teil 2, Minute 28:55-32.25

18 Wehrverband, 1918 gegründet, kämpfte gegen Weimarer Republik, bestand bis 1935, Quelle: www.wissen.de/lexikon/stahlhelm-bund-der-frontsoldaten, stand: 25.01.2017.

19 Siehe 3.2.2 Lenschs Aufgabenin den Alsterdorfer Anstalten und das Euthanasie – Programm der Nationalsozialisten

20 Siehe 3.1.1 Biografisches

21 150 Jahre evangelische Stiftung Alsterdorf. Teil 2: Die Jahre 1913-1963, Alsterdorf. Magazin der evangelischen Stiftung Alsterdorf, Nr.25, August 2013, S.11.

22 Interview mit Stephan Linck, Teil 2, Minute 28:55- 32:25.

23 Interview mit Stephan Linck, Teil 2, Minute 28:55- 32:25.

24 Genkel, Ingrid: Pastor Friedrich Lensch- ein Beispiel politischer Theologie, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 120.

25 Jenner, Harald: Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 245.

26 Zit. n. Genkel, Ingrid: Pastor Friedrich Lensch- ein Beispiel politischer Theologie, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 120.

27 Genkel, Ingrid: Pastor Friedrich Lensch- ein Beispiel politischer Theologie, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 91.

28 Jenner, Harald: Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 245.

29 Interview mit Stephan Linck am 19.01. 2017, Teil 2, Minute 12:50-16:30

30 Jenner, Harald: Friedrich Lensch und die Alsterdorfer Anstalten, in: Michael Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene, Stuttgart 2016, S. 241.

31 http://www.abendblatt.de/hamburg/article205291105/Dietrich-Kuhlbrodt-war-der-Hamburger-Nazi-Jaeger.html, Stand: 06.02.2017

Beurteilung durch die Außenwelt

Nach 1945 wurde das Verhalten Lenschs durch mehrere Anschuldigungen negativ beurteilt:

Ihm wurde ein stark nationalistisch geprägtes Verhalten vorgeworfen. Vor allem der Hamburger Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt16 war während des Ermittlungsverfahrens entsetzt von Lenschs Verbrechen im Nationalsozialismus. Auch öffentlich drückte er dies deutlich aus, was ihm letztendlich die Karriere kostete.17 Belastbar machte ihn die Mitgliedschaft im ,,Stahlhelm“18 ebenso wie die darauf folgende SA-Mitgliedschaft, worauf das Amt des Oberscharführers folgte. Ein weiterer Belastungsfaktor stellte das Euthanasie-Programm19 dar. Lensch war einverstanden, dass die Patienten, bei denen die Tötung feststand, verlegt werden würden.

Zudem kam die Verlegung aus Eigeninitiative nach dem Bombenangriff auf Hamburg im Jahr 194320, was ihm die Anklageschrift vom 24.04.1973 vorwirft. Darin wird er der Beihilfe zum Mord und des Mordes beschuldigt. Er soll im vorauseilenden Gehorsam gehandelt haben, indem er bereits 1938 26 jüdische Anstaltsbewohner im Alter von 13 und 65 Jahren verlegt hatte. Die Mehrheit dieser Bewohner wurde in das Versorgungsheim Oberaltenallee und von dort aus in das Vernichtungslager gebracht. Für mindestens 14 der 26 Deportierten endete dies mit dem Tod.21

In den Alsterdorfer Anstalten wurde erst einmal sehr lange verheimlicht, was an diesem Ort Jahre zuvor geschehen ist. Man achtete stets darauf, dass die Tradition der Anstalten gewahrt wird.

Dies veränderte sich erst Ende der Siebzigerjahre. Die Menschen fingen an, Friedrich Lensch mit anderen Augen zu sehen, was vorher nur die Staatsanwaltschaft getan hatte. Nun war er nicht mehr nur der mächtige und fehlerfreie Direktor, sondern auch jemand, der mit kritischen Augen gesehen werden musste. So begann auch die historisch-kritische Auseinandersetzung mit seinen Taten innerhalb der Alsterdorfer Anstalten.22

In der Gemeinde in Othmarschen wurde er immer aufgrund seiner sympathischen Art und seiner Fürsorge geschätzt. Dort hatten die Menschen von den Geschehnissen in den Alsterdorfer Anstalten nichts mitbekommen und kümmern musste sie der Umstand, dass Lensch anscheinend nicht durchweg gut war, nicht, denn bei ihnen in der Gemeinde war er jederzeit nett gewesen. Sie sahen ihn immer als einen positiven Menschen an.

Genau wie in den Alsterdorfer Anstalten änderte sich auch dieses ehrenhaftes Bild von Lensch.

Allerdings erst vor rund 15 bis 16 Jahren. Dazu gekommen war es letztendlich durch einen Pastor, der begann, sich mit dem zu beschäftigen, was Lensch zur Zeit des Nationalsozialismus getan hatte, und das unkritische Bild von ihm innerhalb der Gemeinde verändern wollte. Vorher war das Thema in der Gemeinde nichts gewesen, über das man sprach. Aus diesem Grund hatte dieser die Absicht, die Atmosphäre innerhalb der Gemeinde ein wenig zu verändern. Der Pastor hat im Zuge dessen eine Frau, die das Euthanasie- Programm überlebt hatte, in die Kirche eingeladen. Diese hat dann über ihre Erfahrungen berichtet. Die Veranstaltung soll sehr emotional gewesen sein.

Heutzutage gibt es immer noch zwei Meinungen zu Friedrich Lensch: Auf der einen Seite gibt es noch die älteren Menschen, die zu ihm stehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass derjenige, der sie vor Jahren getauft, konfirmiert oder getraut hat, mit einem solch schwerwiegendem Verbrechen zu tun gehabt haben soll. Die Bindung, die sie zu ihm haben, lässt nicht zu, dass sie Schlechtes über ihn glauben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich, genau wie zuvor, immer noch diejenigen, die in Lensch den NS-Verbrecher sehen, der unschuldige Menschen zum Tode verurteilt hat.23

Leider ist es nicht möglich gewesen, mit Verwandten oder Freunden ins Gespräch zu kommen, um herauszufinden, was sein unmittelbares Umfeld über ihn und seine Taten gedacht hat.

Beurteilung durch die Außenwelt
Rückblick auf das eigene Handeln
Rückblick auf das eigene Handeln

Nach Kriegsende bat Pastor Friedrich Lensch im Oktober 1945 um Entlassung. Er begründete diesen Schritt damit, dass er sich in den letzten zwölf Jahren politisch belastetet habe und für die Anstalten eine Bürde darstelle.24

Auch wenn dies darauf hinweist, dass er sich seinen Taten und seiner Verantwortung bewusst war, hat er sich nie zu Fehlern bekannt.25 Er erklärte, er habe sich für das Leben der Patienten eingesetzt und sei dadurch „in Doppeldeutigkeiten und viele schmerzliche Konflikte hineingeraten”.26 Lensch hat sich nie öffentlich zu einer persönlichen Schuld bekannt. Im Gegenteil hielt er sein Verhalten stets für gerechtfertigt, da er immer in Absprache mit der Kirchenleitung gehandelt habe.

Zum Beispiel nannte er die Ausweisung der jüdischen Patienten in den Alsterdorfer Anstalten auch noch im Nachhinein notwendig und gerechtfertigt.27 Auch gegenteilig zu einer Schuldanerkennung äußerte Lensch sich 1948 interessiert daran, wieder Direktor der Alsterdorfer Anstalten zu werden. Darauf erhielt er durch eine Vermittlung der Schleswig- Holsteinischen Landeskirche und der Familie Reemtsma eine Stelle als Pfarrer in der Landeskirche in Othmarschen.28

Auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass Lensch aus Angst handelte, war er während wichtiger Entscheidungen, wie den Abtransporten der jüdischen Behinderten, nicht in einer bedrohlichen Situation, in der ein solches Handeln als gerechtfertigt gelten könnte. Natürlich hatten viele Menschen während der NS-Zeit Angst gehabt, sich gegen den Nationalsozialismus zu stellen, weil sie sich bedroht gefühlt haben. Auch Friedrich Lensch fühlte sich bedroht, auch wenn er es zumindest bei der Ausweisung der „Zöglinge“ 1938 nicht gewesen sein kann, denn damals handelt er bekanntlich in „vorauseilendem Gehorsam“. Diese Bedrohung endete aber 1945. Trotzdem haben die wenigsten ihre eigenen Taten reflektiert und sich entschuldigt. Das hat auch Friedrich Lensch nie getan.29

Lensch schrieb 1947 zu dem Thema Angst Folgendes in seiner Zusammenfassung „Die Alsterdorfer Anstalten und die Euthanasie“:

„Ich war mir sehr wohl darüber klar, dass alle Erkundigungen und Konferenzen, die ich in dieser Angelegenheit mit meinen Amtsbrüdern von allen Anstalten hatte, dass auch der Besitz und die Verwendung von feindlichen Flugblättern und verbotenen Kundgebungen kirchlicher Persönlichkeiten ein Spiel mit dem Feuer bzw. mit dem KZ war, da das auf eine Sabotage der Euthanasie hinauslief, ich glaubte jedoch auf Grund meines Hirtenamtes um der mir anvertrauten Menschenleben, dieses nicht achten zu müssen.“30

Außerdem machte Dietrich Kuhlbrodt innerhalb seiner Ermittlungen zwischen 1967 und 1974 klar:

„Während andere Anstaltsleiter in Deutschland teils unter Lebensgefahr versuchten, ihre Bewohner zu schützen, fand Lensch als Begleiter einer Deportation Trost darin, dass ein "kleines Dummerchen hinter mir ununterbrochen ,Jesu geh voran' sang". Dies, so schrieb er, habe ihm gezeigt, dass sie "auch anderswo nicht von Gottes Liebe verlassen sind"“.31

Diese Aussagen machen noch einmal mehr klar, wie sehr Friedrich Lensch von einem Schuldanerkenntnis entfernt war und wie wenig er für seine “Zöglinge” getan hatte.

Stephan Linck erzählt von Friedrich Lensch

Stephan Linck erzählt von Friedrich Lensch
Stephan Linck erzählt von Friedrich Lensch
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